Ökumenischer Kirchenchor im Esslinger Norden – von der Notlösung zum geschätzten Miteinander
Die Ökumene hat im Norden Esslingens eine lange Tradition: Bereits seit den 70er Jahren gibt es einen ökumenischen Krankenpflegeverein, der von katholischer und evangelischer Seite gemeinsam betrieben wird. Seit vielen Jahre wurden auch an den jeweils 2. Feiertagen (Weihnachten, Ostern und Pfingsten) ökumenische Gottesdienste in wechselnden Kirchen angeboten.
Jede Kirchengemeinde hatte um die Jahrtausendwende ihren eigenen Kirchenchor, der gewohnt vierstimmig sang mit eigenem Chorleiter, den dazugehörigen Chorvorständen, geregelten Finanzen, üppigem Notenbestand, recht großen Probenräumen. Dies sowohl auf katholischer wie evangelischer Seite. Traumhafte Zustände aus heutiger Sicht.
Zu den vielen großen Begebenheiten wie Fasching, Erntedank, Gemeindefeste, Kirchenkonzerte, Tanzveranstaltungen usw. waren evangelische Gemeindemitglieder immer auch in St. Josef anzutreffen. „Bei uns wurde halt viel gefeiert und dies auch mit einem guten Tröpfchen und nicht nur mit Tee“, erinnert sich Horst Diebold, der katholische Vorsitzende des ökumenischen Kirchenchores.
Anfänge des ökumenischen Kirchenchores St. Bernhardt zum Hohenkreuz und St. Josef
In St. Josef war der Chor damals groß und es gab viele junge Sänger. Man sang vorwiegend zu den besonderen Feiertagen wie Ostern und Weihnachten Messen verschiedener Komponisten wie die Missa Tempore Quadragesimae von Michael Haydn oder die Missa brevis in G-Dur von Mozart. In Hohenkreuz und in St. Bernhardt (inklusive GZ Hainbachtal und Pflegestift Kennenburg) gab es je einen evangelischen Kirchenchor, die etwa monatlich in den jeweiligen Gottesdiensten auftraten und vorwiegend Choräle und Motetten passend zum Kirchenjahr und zum jeweiligen Thema einstudierten.
Nach der Berentung der Kollegin in Hohenkreuz wurde die Stelle eingespart und die Sängerinnen und Sänger gingen von da in den nun einzigen evangelischen Kirchenchor in St. Bernhardt, vergrößerten ihn erstmalig.
Hilde Beck, langjährige Chorleiterin des evangelischen Kirchenchores St. Bernhardt, beschreibt als ein Kernelement des ökumenischen Erfahrungsaustausches mit dem katholischen Kirchenchor St. Josef den jährlich veranstalteten ökumenischen Bibelsonntag, der Ende Januar in einem feierlichen Gottesdienst zunächst mit drei später regelmäßig mit einem evangelischen und dem katholischen Chor gestaltet wurde.
Man traf sich 2-3 mal zuvor mit beiden Chören und den Chorleiterinnen und probte zu diesem Anlass auch gerne größere doppelchörige Werke wie „Tröste uns Gott“ (Pachelbel) oder „Lobe den Herren“ (Schütz). Nach den Proben gab es stets ein gemütliches Beisammensein der Chöre mit Essen und Unterhaltung, liebevoll ausgestaltet von dem Gastgeberchor in St. Josef. Noch saß man manchmal in Gruppen zusammen, aber man kannte sich schon mehr persönlich.
Über die Jahre entstand so ein erstes Fundament über das gemeinsame Tun und den geselligen Austausch.
Nach dieser ersten bereichernden gemeinsamen Zeit ereignete sich in St. Josef eine recht schicksalsweisende Wende. Die jungen Leute wollten Moderneres singen, schlossen sich zu einem neuen Chor zusammen, fehlten ab da schnell in den Reihen der Kirchenchorsänger. Aus dem vormals großen Kirchenchor war rasch ein kleines überschaubares „Chörle“ geworden, dass sich alleine kaum mehr traute, mehrstimmig zu singen, vor allem auch, weil es zwar einige Damen aber nur noch drei Männerstimmen gab. Die nachfolgende junge Chorleiterin begann recht bald ihre Familienphase und hinterließ die Stelle leider über ein Jahr vakant, bevor sie sie umständehalber endgültig aufgeben musste. Eine Erziehungszeitvertretung war damals schwierig zu bekommen. Weil man zunächst auf die Rückkehr der Chorleiterin wartete und nicht ein Jahr lang auf das Singen verzichten wollte, suchte man anfangs nur eine „Zwischenlösung“ bis man erkennen musste, dass nun auch definitiv keine Chorleitung mehr vorhanden war.
Der Zusammenschluss
Was nun? Es gab doch da einen evangelischen Chor, mit dem man schon früher gemeinsam gewirkt hatte. Erste Anfragen nach einem gemeinsamen Tun wurden freundlich aufgenommen. Unterstützt durch die damaligen Pfarrer beider Gemeinden Gerhard Huber und Romeo Edel, die sich auch privat sehr gut verstanden und die dieses ökumenische „Projekt“ sehr befürworteten, beriet man sich. 35 evangelische und 24 katholische Sängerinnen und Sänger wollten nun gemeinsam proben und gemeinsam auftreten in evangelischen wie katholischen Gottesdiensten. Am 11.4.2013 fand die erste gemeinsame Probe mit dem nun ökumenischen Kirchenchor unter der damaligen evangelischen Chorleiterin Alexandra Nothacker in St. Bernhardt statt.
Das Proben war nun seit langem praktiziert, man war sich auch persönlich sympathisch, aber wie sollte eine Aufteilung der Auftrittstermine, der Finanzen, der Besetzung des Chorvorstandes aussehen? Alles musste diskutiert und neu festgelegt werden. Es gab zwei Chorvorstände, zwei Finanztöpfe, zwei unterschiedliche musikalische Historien. Jetzt ging es nicht mehr nur um das Finden von gemeinsamer Noten-Literatur für einen ökumenischen Gottesdienst, sondern um die Gestaltung von katholischen Messen und evangelischen Gottesdiensten. Anfangs war es für einige Chormitglieder ungewohnt, erinnert sich Alexandra Nothacker, die unbekannte Chorliteratur des jeweilig anderen Chores zu singen. Gerade die unterschiedliche Liturgie und der etwas andere Ablauf des Gottesdienstes bzw. Rolle des Chors sahen manche etwas kritisch.
Wie gelingt der Spagat?
Man einigte sich auf einen evangelischen Chorvorsitzenden mit evangelischem Stellvertreter und einen katholischen Chorvorsitzenden. Die Finanzen blieben bis heute säuberlich getrennt und es gab und gibt jeweils eigene Kassenwarte. Neue Noten werden anteilsmäßig katholisch 1/3 ( da nun 13 katholische Sänger) und evangelisch 2/3 (da 36 evangelische) gestempelt und ebenso bezahlt. Dies auch, weil es unterschiedliche finanzielle Förderungen gibt und im Falle einer Auflösung des Chores die Kassen unterschiedlichen Kirchen zufallen. Die Notenbestände der beiden Chöre wurde jetzt gemeinschaftlich genutzt. Es gibt einen katholischen und einen evangelischen Notenwart, die, da langjährig im Dienst, sich in ihren eigenen Notenbeständen besonders gut auskennen. Geprobt wird im Gemeindesaal St. Bernhardt. Diese groben Strukturen konnten schnell festgelegt werden.
Die fünf Auftrittsorte des ökumenischen Kirchenchores
Die evangelische St. Bernhardt-Kirche, die evangelische Hohenkreuzkirche, das katholische St. Josef, das evangelische Gemeindezentrum Hainbachtal und das Pflegestift Kennenburg (Diakonie). Jeden Monat sollte es, nun einen Auftritt in einem Gottesdienst in einer dieser Wirkungsstätten geben. Die Aufgabe des Chorleiters war und ist es nun im Gespräch mit dem dienstvorgesetzten evangelischen „Kirchenmusikpfarrer“, allen anderen Pfarrern und den zugehörigen Organisten, Posaunenchor- Musikgruppen- und Projektchorleitern der jeweiligen Gemeinden halbjährlich diese Termine zu organisieren.
Besonders an den Oster- und Weihnachtsfeiertagen wird nun abwechselnd mit dem Chor gesungen. Traditionell singt der Chor beispielsweise an Gründonnerstag evangelisch, Ostersonntag eher katholisch, im Advent und an Heiligabend wechselnd jedes Jahr katholisch oder evangelisch. Ja, es werden von allen lateinische Messen und Marienlieder gesungen, und ja, es werden reformatorische, inhaltsschwere und vielstrophige Choräle vorgetragen. An Fronleichnam tritt der ökumenische Chor nicht in Erscheinung. Gelegentlich tritt bei sehr speziellen Anlässen, wie Beerdigungen, etc. auch nur eine größere Schola aus Mitgliedern des Chores auf. Es gibt für alle genügend Anlässe zu singen. Wenn es einem Einzelnen einmal zu viel oder zu speziell wäre, ist es möglich, für den Anlass auch einmal zu pausieren.
Die innere Überzeugung
Einmal im Monat sitzen die Chormitglieder nach der Probe im evangelischen Gemeindehaus St. Bernhardt zur „Hocketse“ zusammen. Längst gibt es keine Gruppen mehr, man sitzt kameradschaftlich gemischt. Der ökumenische Bibelsonntag ist ebenso geblieben wie ein adventliches Beisammensitzen in St. Josef. Ein gemeinsamer Kirchenchorausflug, abwechselnd organisiert und mit einem vom Chor mitgestalteten Gottesdienst in einer der örtlichen Kirchen, ist dazugekommen. Vieles ist nun selbstverständlich.
Nach einer Weile sei der Chor zu so einer festen Gemeinschaft herangewachsen, berichtet Alexandra Nothacker, dass sie dieses "Projekt" durchaus als erfolgreich bezeichnen würde.
Hilde Beck, die nun als Sängerin dem Chor weiter angehört, beschreibt die grundsätzliche Haltung mit folgenden Worten: „Schwierig bis unmöglich wäre es, wenn ein Mitglied an seinem allein seligmachenden Glauben festhielte und dabei mit Missionsbedürfnissen ankäme. Es ist alles nicht mehr so lebensdurchdringend wie noch vor 50 Jahren. Man muss es wollen, auch die Pfarrer und Obrigen“. In der Tat, ein neuer Pfarrer oder ein neuer Kirchenmusiker, der die Ökumene im Esslinger Norden nicht mitträgt, hätte es durchaus schwer.
Ökumenischer Kirchenchor in der Pandemie
Seit September 2019 hat der Chor erstmals eine katholische Chorleiterin. Annette Katscher-Peitz ist studierte Kirchenmusikerin mit B-Examen. Sie arbeitet seit über 20 Jahren sowohl in katholischen wie evangelischen Kirchengemeinden als Kirchenmusikerin, zwischenzeitlich auch als evangelische Kantorin. Das ökumenische Miteinander liegt ihr sehr und war letztlich ausschlaggebend für ihre Bewerbung in St. Bernhardt zum Hohenkreuz in Esslingen. „Nach fast 20 Jahren parallelem kirchenmusikalischem Arbeiten in beiden christlichen Konfessionen bedeutet die Arbeit mit diesem ökumenischen Kirchenchor für mich eine gewisse Normalität.“ Die Chorleiterin schätzt das mittlerweile selbstverständliche konfessionelle Miteinander in diesem Chor und mit den Pfarrvorständen. Während der Pandemie bekam das Ökumenische noch eine besondere Note. Jede christliche Kirche habe im Detail unterschiedliche Hygiene- und Abstandsverordnungen. Probt der Kirchenchor wegen der geeigneten Größe des Raumes in St. Josef (September-November 2020), gelten die katholischen Verordnungen, tritt der Chor evangelisch auf, gelten die evangelischen. Dies zu verwechseln habe zu Beginn einmal zu Missverständnissen geführt, als die evangelischen Verordnungen, nicht jedoch die katholischen erfüllt waren, man aber in der katholischen Kirche auftrat. Das genau auseinander zu halten und sich ständig wieder kurzfristig beiderseits auf Neuerungen einzustellen, sei schon sportlich, so Katscher-Peitz. Diesen kirchlichen Corona-Verordnungen täte etwas mehr „praktizierte Ökumene“ durchaus gut.
Gelebte Chorarbeit in der Pandemiezeit heißt auch für den ökumenischen Kirchenchor mit seinen jetzt knapp 50 aktiven Sängerinnen und Sängern, Neuland zu betreten und in Kleinstformationen entweder mit 5 Sängern (evangelisch) oder mit 4 Sängern (katholisch) wöchentlich und in fast allen Gottesdiensten aufzutreten. In der katholischen Kirche sind die Proben ab Dezember nicht mehr gestattet. Anspielproben von nur 30 Minuten Dauer vor dem Gottesdienst sind seitdem noch erlaubt. Während andere katholische Chöre jetzt auf die ungelenken Onlinechorproben zurückgreifen müssen, darf sich der ökumenische Kirchenchor auf seine evangelischen Teilwurzeln berufen und für seine Gottesdienste als Schola weiterhin proben. Das ist in der evangelischen Kirche mit entsprechendem Abstands-, Lüftungs- und Hygienekonzept noch erlaubt. So ist die noch nicht so praktizierte Ökumene der kirchlichen Verordnungen für einen ökumenischen Kirchenchor zuweilen durchaus „praktisch“. Also, einfach gesagt, darf man evangelisch proben und katholisch aufführen, schmunzelt Katscher-Peitz.
Die Pfarrer beider Konfessionen freuen sich über das ökumenische Miteinander im Chor. "Gemeinsamer Gesang verbindet, das ist eine grundmenschliche Erfahrung, das gilt auch und vielleicht noch mehr für die Kirchenmusik", so der katholische Pfarrer von St. Josef und Leitender Pfarrer der Seelsorgeeinheit Esslingen, Stefan Möhler. "Singen betrifft den ganzen Menschen mit Geist, Leib und Seele. Wenn wir Gott gemeinsam singend lobpreisen, erfahren wir tiefer gehend als durch alle guten Predigtworte, dass wir einen gemeinsamen Glauben haben, dass uns evangelische und katholische Christen viel mehr verbindet als trennt. Es entsteht eine Herzensverbindung im gemeinsamen Glauben." Sein evangelischer Kollege von St. Bernhardt mit einem Auftrag für die Kirchenmusik ergänzt: „Musik nehmen wir als ein wichtiges Feld unseres Miteinanders als Nachbarkirchengemeinden wahr. Ich freue mich, dass in unserem Miteinander die Kirchenmusik eine Impulsgeberin der Ökumene ist und dass wir die Chancen zu Gemeinsamkeit nutzen, die möglich sind.“
Die Chorprobe findet jeden Donnerstag 20 Uhr im Gemeindezentrum St. Bernhardt statt.
Neue Sängerinnen und Sänger sind herzlich willkommen!
Kontakt
- Leitung: Annette Katscher-Peitz
- 1. Vorsitzende: Ulrike Loll
- 2. Vorsitzender: Hartmut Gagelmann
- Schriftführerin: Eva Frank
- Schatzmeisterin: Irene Bethmann